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Essstörungen ernährungsmedizinisch begegnen

Die Komplexität der Essstörung verlangt einen vielschichtigen Therapieansatz. Da die, der Essstörung zu Grunde liegenden Konflikte psychischer Natur sind, ersetzt eine ernährungsmedizinische Betreuung keine Psychotherapie. In vielen Fällen hilft die ernährungsmedizinische Therapie jedoch Patientinnen zu motivieren eine Psychotherapie zu beginnen.

Die Ernährungstherapie ist Teil eines integrativen Behandlungskonzeptes

  1. Medizinische Betreuung
  2. Ernährungsmediznische Therapie
  3. Psychotherapie
  4. Körpertherapie

Die interdisziplinäre, enge Zusammenarbeit der Therapeuten erweist sich für den Behandlungsverlauf als sehr positiv.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ernährungstherapie:
Als wichtigste Punkte sind zunächst 3 Fragen zu klären

  1. Wie sehr belastet mich die Störung? (Leidensdruck)
  2. Kann ich mir vorstellen, mir von einem Therapeuten, bzw. von einem Therapeutenteam helfen zu lassen und die mir empfohlene Therapie durchzuführen? (Therapiemotivation)
  3. Bin ich bereit mich und meine bisherigen Verhaltensweisen zu verändern? (Änderungsmotivation)

Sollten alle 3 Fragen zu dem Ergebnis führen, dass sowohl Patient als auch Therapeut sich über Sinn und Notwendigkeit einer Therapie einig sind, kann man mit der Therapieplanung und Therapiedurchführung beginnen.

Der erste Schritt des ISS-DICH-FREI Systems ist die Ausarbeitung einer umfangreichen Ernährung- und Gewichtsanalyse.

Die Ernährungsanalyse hat einerseits zum Ziel die tatsächliche Zufuhr von Nährstoffen dem individuellen Bedarf gegenüberzustellen (Abklärung des Ist-Sollvergleich). Defizite, Ungleichgewichte und ein "Zuviel" an Nährstoffen werden erkennbar und schriftlich ausgearbeitet. Auf der anderen Seite gibt die Ernährungsanalyse über die ernährungspsychologischen Motive des Essverhaltens Aufschluss.

Die Ergebnisse der Ernährungsanalyse als auch die medizinischen Befunde werden herangezogen, um mit der Patientin gemeinsam ihr gewünschtes und realistisches Gesundheitsbild zu konkretisieren und den therapeutischen Weg dort hin zu vereinbaren. Eine schriftliche Therapiezielvereinbarung wird mit der Patientin getroffen. Im Rahmen von Essstörungen kommt es aus meiner Erfahrung heraus oft zu großen Ängsten und Fehlwahrnehmungen, so dass Patientinnen trotz Motivation und Leidensdruck manchmal den therapeutischen Rahmen nicht ganz einhalten können und sich ein Behandlungsvertrag, das so genannte Contract-Management, als sinnvoll gezeigt hat.

Erst nach der Ernährungsanalyse ist ein therapeutischer Maßnahmenkatalog zielführend. In Abhängigkeit der Bedürfnisse der Patientinnen kann dieser aus ernährungspsychologischen Einzelsitzungen bestehen oder/und der Erstellung eines individuellen Ernährungskonzept und Bewegungsprogramms bestehen.

Der zweite Schritt des ISS-DICH-FREI Systems ist die Erstellung eines individuellen Ernährungskonzeptes.

Auf Basis der Ergebnisse der Ernährungsanalyse, der medizinischen Befunde und Therapiezielvereinbarung wird ein individuelles Ernährungskonzept erstellt. Dieses ist bei Patientinnen mit Essstörungen vorerst abhängig von den ernährungsphysiologischen Anforderungen und den ernährungspsychologischen Möglichkeiten. Da die Therapie von Essstörungen eine prozessorientierte Therapie ist, werden die Ernährungskonzepte laufend an die physische und psychische Entwicklung der PatientInnen ernährungsmedizinisch angepasst.

Bei Notwendigkeit werden Nahrungsergänzungsmittel in den Ernährungsplan integriert, um die Deckung des Mindestnährstoffbedarfes gewährleisten zu können. Rezepte werden gemeinsam kreiert und auf deren Nährstoffgehalt mit den Patientinnen berechnet.

Die Patientinnen sollen in weiterer Folge Trink- und Ernährungsprotokolle führen, in denen sowohl innere (Gedanken und Gefühle) als auch äußere Auslösersituationen (zb. Essensdrang nach Stresssituationen etc.), aber auch das eigene Problemverhalten (z.B. Abführmittelmissbrauch etc.) aufgeschrieben wird. Hierbei ist es mit der Zeit möglich die kritischen Situationen im Leben der Patientinnen "herauszufiltern", so dass man konkrete Verhaltensweisen oder Denkansätze für diese Situationen planen kann.

Weiters werden Verlaufskurven erstellt. In dieser Verlaufskurve sollte der Verlauf des Gewichtes seit Auftreten der Störung zu sehen sein. Dieser Verlauf lässt sich dann ggf. in einen Zusammenhang mit bestimmten Lebensereignissen stellen.

Grundvoraussetzung für Therapieerfolge ist das uneingeschränkte Vertrauen zwischen Therapeutin und Patientinnen.

Der dritte Schritt des ISS-DICH-FREI Systems ist die kontinuierliche Betreuung und die ernährungsmedizinische Anpassung an die physische und psychische Entwicklung des Patienten.

Im Mittelpunkt stehen das Hinterfragen von verzerrten Einstellungen, die Überprüfung von Überzeugungen, das Entkonditionieren (=entkoppeln) des Essverhaltens von Einstellungen und Gefühlszuständen, das Erlernen von neuen Gedankengängen und von alternativen Verhaltensweisen. Das bewusste Annehmen dessen, dass die Behandlung von Essstörungen eine prozessorientierte und eine über einen längeren Zeitraum dauernde Therapie ist, ist  wichtig, für einen langfristig Weg aus der Essstörungen.

Arten von Essstörungen

Magersucht (Anorexia nervosa)

Magersucht (Anorexia nervosa) Körpergewicht unterhalb 85 % des zu erwartenden Gewichtes (Body Mass Index (BMI) < 10. Altersperzentile bzw. BMI < 17,5 bei Mädchen in der Adoleszenz).

Leitsymptome:

  • Absichtliche Gewichtsabnahme
  • Gewichtsphobie
  • Vermeidung hochkalorischer Speisen oder fast vollständiger Verzicht auf Nahrung und/oder Beschränkung auf spezifische Lebensmittel (z.B. Vegetarismus)
  • Extrem langsames und auffälliges Eßverhalten, Rituale beim Essen, Horten von Lebensmitteln
  • Erbrechen und/oder Laxantienabusus und/oder Mißbrauch anderer Substanzen zur Gewichtsreduktion
  • Exzessive Gewichtskontrollen (z.B. mehrfach tägliches Wiegen)
  • Übertriebene körperliche Aktivität
  • Mangelnde Krankheits- und Behandlungseinsicht
  • Perzeptionelle und konzeptionelle Störung des eigenen Körperschemas
  • Ausbleiben der Regelblutung über mindestens drei aufeinander folgende Zyklen (gilt nicht bei medikamentöser Hormonsubstitution)
  • Libidoverlust
  • Somatische Folgen des Hungerns

Magersucht und mögliche Auswirkungen

  • Akute Lebensbedrohung (Herzstillstand)
  • Ausbleiben der Regelblutung
  • Verminderung der Knochendichte (hohes Osteoporoserisiko)
  • Verlangsamung der Herzfrequenz
  • Herzrhythmusstörungen
  • Nierenfunktionsstörungen
  • Unter und Mangelernährung
  • Beschwerden im Magen-Darmtrakt:
    • chronische Verstopfung
    • Magenverkleinerung
    • Völlegefühl
    • Flatulenzen
    • Nahrungsmittelunverträglichkeiten
  • Hohe Infektanfälligkeit
  • Störungen der Schilddrüsenfunktion
  • Absinken des Grundumsatzes
  • Immunsuppression
  • Andere Sekundärerkrankungen verursacht durch Mangel und Unterernährung


Magersucht ist von allen psychischen Erkrankungen jene mit dem größten Sterberisiko.

Essstörungen sind multifaktorielle Erkrankungen. Die Komplexität dieser Erkrankungen verlangt einen vielschichtigen Therapieansatz.

Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa)

Leitsymptome:

  • Wiederholte "objektive" Essattacken, bei denen große Nahrungsmengen konsumiert werden
  • Erbrechen im Anschluss an Heißhungerattacken
  • Missbrauch von Abführmittel (Laxantien) und/oder Diuretika und/oder Appetitzüglern und/oder anderen Medikamenten zur Gewichtsreduktion
  • Episoden restriktiver Nahrungszufuhr
  • Ggf. Menstruationsstörungen
  • Störung des eigenen Körperbildes (Patientin hält sich trotz Normal- oder Untergewicht für zu dick)
  • Bei einem Teil der Patienten zusätzliche Störung der Impulskontrolle, z.B.: Ladendiebstähle (in der Mehrzahl Nahrungsmittel)
  • Alkohol-, Tabletten-, Drogenabusus
  • Unkontrolliertes Geldausgeben
  • elbstverletzendes Verhalten

Bulimia Nervosa und mögliche Auswirkungen

  • Zahnhartsubstanzverlust durch Säureerosionen
  • Speichel und Speicheldrüsenveränderungen
  • Starke Einschränkung der Speichelfunktionen wie (Remineralisation der Zähne, Säure-Verdünnung, Spülwirkung und Säure- Pufferung)
  • Entzündungen oder Perforationen der Speiseröhre
  • Elektrolytstörungen
  • Störungen des Säure-Basen-Haushaltes
  • Starke Verdauungsbeschwerden
  • Andere Sekundärerkrankungen verursacht durch
  • Mangel- und Unterernährung

Essstörungen sind multifaktorielle Erkrankungen. Die Komplexität dieser Erkrankungen verlangt einen vielschichtigen Therapieansatz.

Heißhungerstörungen

Bei der Heißhungerstörung kommt es zu wiederkehrenden "Fressattacken". Diese sind für den Patienten sehr unangenehm und es kommt häufig zu großem Ekel gegenüber der eigenen Person. Die Essanfälle treten mehrmals pro Woche auf und es kommt nicht zu gewichtsregulierenden Maßnahmen (Erbrechen, Abführmittel etc.).

Neben den wiederholten Essattacken (ähnlich der Bulimie: große Mengen in vergleichsweise kurzen Zeiträumen) finden sich beim Patienten mit Binge-Eating-Disorder noch weitere Veränderungen des Essverhaltens. Die Patienten essen sehr viel schneller als normal, sie essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl ("bis zum Platzen"). Auch muss kein Hungergefühl vorhanden sein, um große Mengen Nahrungsmittel zu essen.

In der Regel essen die Patienten während der Anfälle alleine, da sie sich für die Mengen schämen. Nach einem solchen Anfall werden die Patienten meistens durch übergroße Schuldgefühle übermannt, welches zu einem deutlichen Stimmungsabfall führt. Essstörungen sind multifaktorielle Erkrankungen. Die Komplexität dieser Erkrankungen verlangt einen vielschichtigen Therapieansatz.

Fettsucht (Hyperphagie, Adipositas)

Hier steht das suchtartige und übermäßige Essen im Vordergrund, wobei dies von den Betroffenen häufig anders erlebt wird. Subjektiv besteht der Eindruck, eigentlich gar nicht so viel zu essen. Eigene Erklärungsmodelle über das Zustandekommen des enormen Übergewichtes wie zB. der "schwere Knochenbau", die Veranlagung, der schlechte Stoffwechsel, die Hormone u.v.m. werden auf gestellt. Der Einfluss des eigenen Essverhaltens wird dagegen oft nicht wahrgenommen. Der Drang zu essen und die Neigung, dabei vor allem auf zuckerhaltige Speisen zurückzugreifen, sind weitestgehend nicht bewusst bzw. werden verleugnet.

Das Ergebnis der Ernährungsanalyse zeigt häufig, dass Beziehungen über das Essen reguliert werden. Zuneigung und Aufmerksamkeit scheinen durch Essenszuwendungen gezeigt zu werden. Entsprechend haben die Betroffenen subjektiv das Gefühl, sich etwas Gutes zu tun, wenn sie sich mit Speisen "füllen". Zugleich bleibt das eigentliche Bedürfnis nach Liebe und Kontakt unbeantwortet. Die Enttäuschung ruft erneut Hungergefühl und das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme hervor - ein Teufelskreislauf.

Häufig ist in der Geschichte der Betroffenen allerdings festzustellen, dass schon in der Kindheit die Nahrungsaufnahme eine Vorrangstellung vor anderen Formen des emotionalen Ausdruckes innehat. Oft wurden Nahrungsmittel zur Belohnung oder Bestrafung eingesetzt. Z.B. wenn du brav bist, bekommst du was Süsses oder im Gegenteil, wenn du nicht brav bist, bekommst du kein Eis. Entsprechend wird wohl unbewusst immer wieder auf dieses Muster zurückgegriffen. Allerdings bleibt die Befriedigung ebenfalls stets aus.

Das ungesunde Verhalten kann alleine durch rationelle Maßnahmen u.B. nach 16 Uhr esse ich nicht mehr, u.a. nicht verändert werden. Oftmals geben die Betroffenen an, sich wie von außen selbst dabei zu betrachten, wie sie ihre Selbstschädigung ausführen und sich dabei ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen. Wie unter Zwang muss gegessen werden.

Die Komplexität dieser Essstörung verlangt einen vielschichtigen Therapieansatz.